Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Feldmann, sehr geehrte Frau Bubis, sehr verehrte Gäste,
lieber Cem Özdemir,
kennen gelernt habe ich dich, Cem, im Oktober 2016 in Kiel.
Du bist nach Kiel gekommen, um gemeinsam mit der Kollegin Luise Amtsberg und Denis Yücel über die Türkei zu diskutieren.
Mir ist sehr in Erinnerung geblieben, wie wir dich vom Bahnhof abgeholt haben. Es stand im Raum, ob dich Personenschützer*innen begleiten werden oder nicht.
Ich hab damals gedacht: Was für ein Risiko man trägt, dafür dass man seine Meinung sagt, dafür dass man Politik macht.
Es war zu der Zeit der Armenien-Resolution, bei der du klar Position bezogen hast. Hass und Bedrohungen waren wieder einmal Alltag für dich.
Es war einige Monate bevor ich selbst bekannt gegeben habe, für den Landtag Schleswig-Holstein zu kandidieren.
Ich weiß noch, wie ich mich gefragt habe: „Muss ich mich als erste afrodeutsche Abgeordnete in Schleswig-Holstein auch auf so etwas einstellen?“
Zwei Jahre und viele Hassnachrichten später habe ich dich gefragt: „Cem, wie hältst DU das eigentlich aus? Hass als täglichen Begleiter? Wie gehst du damit um?“
Da hast mir geantwortet: „Das ist es doch, was sie wollen. Dass man eingeschüchtert ist. Dass man den Mund hält und wenn es eine Sache gibt, die ich nicht akzeptieren werde, dann, dass man mir in einer freiheitlich demokratischen Gesellschaft sagt, wie ich zu sprechen habe!“
Du sagst immer, was du denkst und was du für demokratisch geboten hältst.
Ein sehr bezeichnendes Beispiel dafür ist, deine erste Reise in die Türkei als frisch gewählter Bundestagsabgeordneter.
Du wurdest dort gefeiert. „Einer von uns ist im Deutschen Bundestag!“ Du warst einer der ersten türkischstämmigen Abgeordneten.
Aber dir war es wichtig auf die Missstände vor Ort hinzuweisen.
Du hast die Öffentlichkeit genutzt, um zu kritisieren, dass ein Schriftsteller zu Unrecht eine Haftstrafe absitzen musste. Du hast mit kurdischen Müttern und Ehefrauen protestiert und du hast dich mit einem homosexuellen Kriegsdienstverweigerer getroffen und solidarisiert.
Ich finde, es zeugt von großer Charakterstärke auch dort Widerspruch anzumelden, wo man gefeiert wird, wenn es gesellschaftliche sowie auch politische Missstände gibt, die der eigenen politischen Haltung widersprechen.
Und es ist diese Haltung – deine Haltung, Cem, die uns hier heute alle zusammengebracht hat. Wir sind hier heute alle zusammengekommen, weil wir dich für deine Arbeit und deine Leistung respektieren.
Es ist keine Selbstverständlichkeit sich einer Sache so sehr zu verpflichten, wie du es tust.
Und „Selbstverständlichkeit“ ist das Stichwort, das für mich beschreibt, was du bewirkst.
Du bist 1994 als einer der ersten Abgeordneten mit türkischem Hintergrund in den Deutschen Bundestag gewählt worden.
Ich kann mich nicht daran erinnern, ich war zu dem Zeitpunkt 2 Jahre alt, aber ich kann mich daran erinnern, dass ich 2012, Bündnis 90/ Die Grünen beigetreten bin. Und zu diesem Zeitpunkt warst du Bundesvorsitzender. Und für mich war es elementar wichtig zu sehen, dass einer der relevantesten und größten Parteien Deutschlands von einem Menschen vertreten wird, der so wie ich eine Migrationsgeschichte in der Familie hat.
Für mich war es also Zeit meines Erwachsenwerdens normal, zumindest einen Politiker im Fernseher zu sehen, der womöglich meine Perspektiven in der Politik vertritt.
Denn das hat mir oft gefehlt. Mit den meisten Politiker*innen konnte ich mich nicht identifizieren, die aber gleichzeitig Pauschalurteile über Menschen wie mich gefällt haben. In der Regel negative.
Es ging so weit, dass ich gedacht habe, wie schlimm muss es sein ein Mensch mit Migrationshintergrund zu sein, bis ich gemerkt habe: Ich bin auch gemeint.
Dabei macht der Staat Menschen wie dir und mir ein Versprechen: Die gleichen Rechte und Pflichten zu besitzen. Zu oft wird uns das aber abgesprochen und es steht zur Disposition, dass wir Teil dieser Gesellschaft sind.
Cem, du bist nicht nur wichtig, weil du einen Migrationshintergrund hast. Nein, sondern weil du für diese Gruppe relevante Themen ansprichst, Forderungen für sie formulierst, sie politisch durchkämpfst und ebenso einforderst sich als Teil dieser Gesellschaft zu verstehen. Gleichzeitig machst du der Mehrheitsgesellschaft deutlich, dass das nicht verhandelbar ist, dass wir Teil dieser Gesellschaft sind.
Du tust das mit einer beeindruckenden Vehemenz und Klarheit.
Mich jedenfalls hast du immer beeindruckt und mir den Weg in die Politik um ein Vielfaches vereinfacht. Du hast es zu einer Selbstverständlichkeit werden lassen, dass Deutsch- und Türkischsein, kein Widerspruch ist und auch für viele andere migrantischen Gruppen. Sprich, asiatisch-deutsch, afro-deutsch und viele andere Bindestrich-Deutsche.
Deine Vehemenz, Klarheit und das muss man auch ehrlich sagen, deine rhetorischen Fähigkeiten sind etwas, wofür du nicht nur heute ausgezeichnet wurdest.
Nur wenige Monate nachdem ich dich und auch Denis Yücel kennenlernen durfte, wurde er in der Türkei verhaftet.
Kurz nach seiner Freilassung hast du einer der fulminantesten Reden im Deutschen Bundestag gehalten. Eine Rede, für die du zu Recht den Preis „Rede des Jahres 2018“ erhalten hast.
Wie kein anderer hast du das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung verteidigt.
Wir leben in politisch aufgeladenen Zeiten. Da ist es für jeden und jede eine Herausforderung, zu wissen, wann man durchAussagen polarisiert und wann man einende Worte findet.
In dieser Rede ist dir das gelungen.
Wie wichtig diese Fähigkeit heute ist, zeigen die Debatten der letzten Wochen: Die Erschießung von Walter Lübcke, der Mann, der in Wächtersbach angeschossen wurde, die schrecklichen Taten hier in Frankfurt oder Stuttgart, Debatten darüber, ob Kinder in Grundschulen dürfen oder nicht, wenn sie noch nicht Deutsch sprechen, Tönnies rassistische Aussagen über Afrikaner*innen, Angriffe auf den Rabbiner Teichtal in Berlin oder aber auch der Angriff in München und ich könnte noch so viele weitere aufzählen. Leider.
Ich bin mir sicher, dass jede und jeder hier im Raum mindestens über eines dieser Themen diskutiert hat, weil diese Debatten polarisiert haben.
Und die Frage, die ich mir immer wieder stelle, ist, tun wir als Gesellschaft, als Politik genug, damit Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus tatsächlich keinen Platz in unserer Gesellschaft haben?
Bei so vielen antisemitischen Straftaten, bei so vielen rassistisch motivierten Straftaten, bei so vielen rechten Straftaten.
Cem, du findest immer deutliche Worte, wenn es um diese Themen geht.
Wir alle sind heute hier, um dir für deine Arbeit zu danken. Wir wissen aber auch, dass du und deine Familie dafür mit eurer Sicherheit zahlt.
Es macht mich betroffen, wenn Menschen wie du schon mehrere Generationen an Personenschützer*innen kennengelernt haben.
Dabei ist es so notwendig, dass noch mehr Menschen sich klar positionieren.
Ich wünsche mir, dass noch mehr Menschen, die diese Haltung haben, im wahrsten Sinne des Wortes aufstehen und dagegen halten.
Aber wie können Menschen dagegen halten? Was können wir während polarisierenden Debatten tun? Wie halten wir sie aus?
Ich habe in den letzten Tagen viele heftige Gespräche geführt.
Diese Art von Gespräche mit Menschen, die mir zustimmen oder aber widersprechen, sind wichtig, weil sie mir vieles deutlich machen und im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Preisverleihung, dem Lebenswerk von Ignatz Bubis und natürlich mit dir, Cem, stehen.
Ich halte es für zwingend notwendig, dass in Debatten unterschiedliche Perspektiven, unterschiedliche Menschen und Erfahrungen zu Wort kommen.
In einem Facebookkommentar zu einem Artikel von mir schrieb jemand: „Frau Touré, scheint mir die objektivste Person zu sein, um über Migrationspolitik zu sprechen, da sie selbst in einer Flüchtlingsunterkunft groß geworden ist.“
Und diesen Vorwurf höre ich oft.
Und ich denke mir jedes Mal: Genau, denn, in der Migrationspolitik soll bloß niemand zu Wort kommen, der unter den Gesetzen, die für einen gemacht werden, reale Erfahrungsberichte nennen kann, sich wissenschaftlich wie auch politisch damit auseinandergesetzt hat.
Wenn wir über Wirtschaftspolitik sprechen, dann würde niemand auf die Idee kommen, jemand dürfe sich nicht äußern, weil er schon mal in einem Unternehmen gearbeitet hat und sich auskennt, oder? Wieso wird mit zweierlei Maß gemessen? Die Perspektive derer, die unmittelbar betroffen sind, sind zwingend notwendig in solchen Debatten.
Neben dieser Kritik ist für mich der Zuspruch von denen, die einem zustimmen und die Erfahrungen teilen können, wichtig und unersetzbar. Er macht deutlich, wofür man kämpft und sich einsetzt.
Es kann aber genauso sinneserweiternd sein, sich auch die Meinungen von denen anzuhören, die einem widersprechen. Wenn der Widerspruch in einer respektvollen und nicht menschenverachtender Weise geäußert wird, muss ich leider hinzufügen.
Wenn man seine Meinung nicht äußern kann, ohne zu beleidigen oder zu drohen, der disqualifiziert sich selbst aus jeglicher konstruktiven, respektvollen und ebenbürtigen Debatte.
Bei einem Mann, mit dem ich telefonierte, stellte sich heraus, er habe den Eindruck, dass immer nur schlecht über Deutschland geredet werde und immer nur über Rassismus. Da habe ich ihm folgendes gesagt:
Kritik an Missständen in dieser Gesellschaft ist notwendig. Und sie ist notwendig, weil wir sonst nicht besser werden.
Ich habe nicht vergessen, aus welchem Land meine Eltern geflohen sind, unter welchen Repressalien Menschen damals wie heute in Mali leiden.
Es ist leider keine Selbstverständlichkeit in einer Demokratie wie in Deutschland groß zu werden und zu leben. Diese wehrhaft gegen Demokratiefeinde zu machen, ist die Aufgabe von jedem von uns. Und ich werde nicht aufhören darüber zu sprechen und das zu kritisieren. Eine Demokratie misst sich immer daran, wie sie mit ihren Minderheiten umgeht. Man muss verinnerlichen, dass der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus ein Kampf für die Demokratie ist.
Diesen Kampf können wir selbstbewusst mit Leidenschaft und Emotionen führen. Das schätze ich an der Art und Weise wie du Politik machst, Cem.
Dass Emotionalität und Politik sich nicht ausschließen, hat auch Ignatz Bubis gezeigt. In der Tagesschau bei den Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte. Er hatte Tränen in den Augen und war umgeben von Journalist*innen und die Kamera hielt drauf. Es war ihm egal. Es war ihm egal, weil man sieht, dass es ihn verletzte und er es kaum aushielt.
Das ist kein Zeichen der Schwäche, sondern der Stärke. Zu zeigen, dass das, woran man arbeitet und wofür man kämpft, eine Lebensaufgabe ist.
Auch ich schlage mir die Nächte um die Ohren, ich bin den Tränen nahe und in besonders schlimmen Momenten lasse ich ihnen freien Lauf. Es sind Momente, in denen mir politische Entscheidungen schwer fallen. Es sind Momente, in denen ich die Entscheidungen andere Politiker*innen nicht nachvollziehen kann. Es sind auch Momente, in denen ich den Eindruck habe, dass unsere Gesellschaft auseinander driftet.
Menschen wie Ignatz Bubis oder auch du Cem, geben mir das Gefühl, dass das ok ist.
Es ist nicht fatal, es ist nichts Verwerfliches für die eigenen politischen Überzeugungen zu kämpfen, zu streiten und zu zeigen, dass es einem Nahe geht.
Politik muss, meiner Meinung nach, zeigen, dass es Menschen sind, die hinter den Funktionen und Ämtern stecken und dass es wiederum um Menschen und um Biografien geht, über die wir Entscheidungen treffen.
Ignatz Bubis wurde oft gefragt, wie er wieder nach Deutschland kehren konnte, nachdem viele Menschen seiner Familie in Konzentrationslagern getötet wurden.
Wieso er nicht im Exil blieb. Und er antwortete darauf, dass Deutschland sein zu Hause sei. Trotz alledem. Ich will mir nicht anmaßen zu beurteilen, wie es für ihn und viele weitere Jüd*innen gewesen sein muss.
Im Exil zu bleiben kann man nachvollziehen, nachdem ein ganzer Staat die Vernichtung aller Jüd*innen anstrebte und 6 Millionen dem zum Opfer fielen.
Auch die Entscheidung wieder zurück zu kehren und wie Ignatz Bubis daran zu arbeiten, dass es eine Normalität zwischen dem Jüdischen und dem Deutschen gibt. Welch herausragende Leistung eines Menschen, der selbst unter den faschistischen Taten unter einem für mich nicht nachvollziehbaren Schmerz zu leiden hatten.
Die Tochter von Ignatz und Ida Bubis, Naomi, hat mal gesagt, dass es in der deutschen Politik an Menschen wie ihrem Vater fehlt, moralische Autoritäten.
Sie sagt es und denkt an die Brandanschläge auf die Flüchtlingsunterkünfte in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen. Ignatz Bubis war als Vorsitzender des Zentralrats für Juden, derjenige Politiker, der damals klare Worte fand. Er sah die Pflicht sich zu diesen rassistischen Anschlägen zu äußern.
Damals wie heute verursacht rechte Gewalt Angst und Unsicherheit. Aber Ignatz Bubis war da. Er ließ die Menschen nicht allein und wurde so zu ihrem Sprachrohr.
Ignatz Bubis und du, ihr habt Seite an Seite an Projekten gearbeitet wie zum Beispiel Schule ohne Rassismus. Du warst oft die Vorband zu Ignatz Bubis Auftritten.
Was euch beide vereint, ist, dass ihr nicht nur für die Gruppe sprecht, zu der ihr selbst gehört, sondern immer den Sinn darin gesehen habt, jegliche Formen von Menschenverachtung den Kampf anzusagen.
Für dich ist es zweitrangig, ob du unmittelbar davon betroffen bist oder nicht. Weil dein Selbstverständnis folgendes ist: Es ist egal, ob ich die Hautfarbe, die Religion, das Geschlecht oder die Herkunft des anderen teile, aber wenn dieser Mensch auf Grund eines dieser Merkmale angegriffen wird, werde auch ich angegriffen. Das ist ein demokratisches Verständnis von Zusammenleben, das noch viel mehr gelebt werden muss und wir noch viel mehr gebrauchen können.
Du hast gesagt, Ignatz Bubis war für dich persönlich ein Vorbild.
Ich hab mich sehr gefreut, als du auf mich zugekommen bist und gefragt hast, ob ich für den heutigen Tag die Laudatio halten möchte.
Ich habe mich sehr gefreut, weil du für mich und für viele andere hier in Deutschland zu den zentralen Figuren in der Politik gehörst, die klar und deutlich ihre Haltung nach draußen tragen. So wie es Ignatz Bubis in jener Zeit für dich war, so bist du es für viele und mich eingeschlossen heute – ein Vorbild.
Dieser Ort – die Frankfurter Paulskirche – ist für die deutsche Demokratiegeschichte symbolträchtig und wichtig.
Sie ist symbolträchtig, weil die Anfänge der Demokratie hier manifestiert worden sind. Damals noch kränkelnd, weil sie nur Männer umschloss, Frauen nicht mitdachte und Menschen mit Migrationshintergrund wahrscheinlich auch nicht im Sinn hatte.
Heute aber stellt dieser Ort etwas anderes dar: einen Ort, an dem jüdisch-deutsches, deutsch-türkisches und afro-deutsches Leben stattfindet. Als Teil dieser Demokratie, als Gestalter*innen dieser Demokratie und als Verteidiger*innen dieser Demokratie.
Ignatz Bubis hat Zeit seines Lebens dafür gekämpft, dass Jüdisch- und Deutschsein kein Widerspruch, sondern Normalität ist. Du zeigst, dass deutsch-türkisch sein, kein Widerspruch ist.
Ihr steht dafür, dass alle als selbstverständlicher Teil dieser Gesellschaft gesehen werden müssen.
Ihr beiden seid für mich Vorbilder dafür zu kämpfen, dass afro-deutsch sein kein Widerspruch ist, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Es geht darum, dass alle, die zwei Herzen in ihrer Brust schlagen haben, sich nicht entscheiden müssen. Weder für das Land der Eltern oder in dem man geboren ist, noch für das Land, in dem man lebt.
Es geht beides.
Der Ignatz-Bubis-Preis ist ein Preis für Verständigung.
Dieser Preis wird an Personen vergeben, die durch die von Ignatz Bubis verkörperten Werte geprägt sind.
Er soll aber auch die Selbstverpflichtung dokumentieren, weiterhin für diese Werte einzustehen. Und dafür brauchen wir dich, lieber Cem und das wirst du, da bin ich mir sicher, immer tun.
Du hast Recht damit, dass man sich nicht den Mund verbieten lassen darf.
Dass dann diejenigen gewinnen, die sich ein Land wünschen, das nicht vielfältig ist. Und dennoch bedarf es Mut und Haltung dies immer wieder auszusprechen und nach Außen zu tragen.
Das tust du und dafür verdienst du Respekt und dafür verdienst du diesen Preis.
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