Am Wochenende durfte ich beim taz lab ein Grußwort sprechen und an einem Talk mit Mareice Kaiser über Machtfragen sprechen. Lest hier einen taz Artikel darüber und nachstehend meine Rede.
“(…) You always told me “It takes time.” It’s taken my father’s time, my mother’s time, my uncle’s time, my brothers’ and my sisters’ time. How much time do you want for your progress?”
Mit diesen Sätzen beschreibt James Baldwin, afroamerikanischer Schriftsteller, einerseits ein Gefühl der Ohnmacht, weil es immer dieselben Sätze sind, die fallen, wenn es um Veränderung geht: „Es braucht eben Zeit!“, und andererseits prangert er an. Er prangert an aus einer Position der Stärke und Macht, weil er zeitgleich sehr deutlich macht, dass er die Logik hinter der Abwehr Veränderung zuzulassen, verstanden hat.
Liebe Teilnehmende, ich freue mich, dass ich heute eine Begrüßungsrede zum diesjährigen taz Lab halten darf und später auch bei einem Panel zu Machtfragen diskutieren darf.
Ich kann aus meiner Position als Politikerin sagen, dass ich Veranstaltungen wie die heute, in denen man über Übergeordnetes spricht, sehr wichtig finde. Wichtig, weil man sich in der Arbeit oft mit detailreichen Fragen auseinandersetzt. So geht es sicher vielen. Sich hinzusetzen und zu überlegen, was aber das Große Ganze ist, wofür man arbeitet, ist wichtig. Damit es einen Sinn ergibt. Damit die Veränderungen, an denen man arbeitet, geleitet sind von Grundsätzlichem, nämlich, in welcher Gesellschaft wollen wir leben.
Ich glaube, dass es bei Veränderung genau um dieses Spannungsverhältnis geht: Einerseits in einer Demokratie die Geduld zu haben, dass gesellschaftliche und politische Veränderungen eben Zeit brauchen. Die Zeit für die Auseinandersetzung, den Austausch und das Abwägen, um die bestmöglichen Entscheidungen zu treffen.
Und auf der anderen Seite dürfen diese langen politischen Prozesse nicht als Entschuldigung benutzt werden, um Veränderungen zu blockieren.
Wir sind inmitten einer Zeit, in der Krisen den politischen, aber auch den Alltag eines jeden einzelnen bestimmen. Von der Pandemie, über die Klimakrise bis hin zu gesellschafts- und sozialpolitischen Krisen. Und all diese Fragen bedürfen schnelle und zeitgleich durchdachte Antworten. Weil gerade Politik nicht nur das verwalten und reagieren sein darf, sondern vorausschauend sein muss.
Ich werde oft gefragt, glaubst du an Veränderung? An wirklich nachhaltige progressive Veränderung. Ich brauch da gar nicht lange drüber nachdenken. Ich glaube daran. Aber ich glaube nicht daran, dass Veränderung ein Automatismus der Zeitgeschichte ist. Ich glaube, dass es hierfür vor allem Menschen braucht, die sich dieser Aufgabe stellen wollen an Veränderung zu wirken. Mit all den Widersprüchen, mit all den Herausforderungen, die daran geknüpft sind. Und zwar in allen Bereichen in unserer Gesellschaft. Ich glaube, dass es sogar zwingend notwendig ist, dass jede*r einzelne sich als Teil dieser Veränderung verstehen muss. Nicht im Sinne von Privatisierung staatlicher Verantwortung, aber so dass jede*r einzelne darum weiß, ich kann Teil der Veränderung sein, die ich mir wünsche.
Gestern war Welttag des Buches und da habe ich darüber nachgedacht, welches Buch war es eigentlich, dass mich nachhaltig geprägt und ermutigt hat, an Veränderung zu glauben. Es war das Buch von Gloria I. Joseph – Schwarzer Feminismus. Theorie und Politik afro-amerikanischer Frauen.
Darin beschreibt sie, nicht romantisierend, wie einige es gerne hätten, sondern ziemlich realitätsnah, dass es natürlich vielen Menschen nicht gefallen wird, wenn mehr Gleichberechtigung herrschen wird. Menschen schlichtweg Macht verlieren werden. Diese bittere Pille werden einige schlichtweg schlucken müssen.
Genau darüber denke ich immer wieder nach, wenn Debatten wieder lautwerden, in denen es heißt, dass all‘ diese Debatten um Gleichberechtigung und Diskriminierung übertrieben seien.
Ich denke darüber nach, dass die Umsetzung des Versprechens, das unser Grundgesetz uns gibt, dass alle das Recht haben gleichberechtigt zu leben, und zwar ungeachtet der Herkunft, des Geschlechts, des Glaubens oder der Behinderung zu Recht einzufordern ist.
Und solange dieser Zustand nicht da ist, wird man an dieser Aufgabe weiterarbeiten müssen. Mit all‘ den Rollbacks, mit all‘ den Enttäuschungen und Verletzungen, die damit einhergehen.
Aber mit der Zuversicht, dass es eben doch genügend Menschen gibt, die die Lust und den Mut haben zu verändern. Weil nichts lähmender ist als der Erzählung Glauben zu schenken, dass es nicht möglich ist.
James Baldwin beschreibt zu Recht, wie sehr der Rassismus die Zeit so vieler Generationen gekostet hat. Die Verantwortung, die daraus wächst, ist, dass wir die Aufgabe haben, nicht noch mehr Generationen daran arbeiten zu lassen, dass es Gleichberechtigung gibt. Sondern, dass jetzt und nicht morgen ein verdammt guter Zeitpunkt ist, dafür streiten.