Zur Berichterstattung: Das NDR hat einen Fernsehbeitrag dazu ausgestrahlt. Hier zu finden. In der SHZ findet ihr auch einen Artikel.
Hier könnt ihr euch meine Rede bei Facebook ansehen:
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegen und Kolleginnen,
wir haben ja bereits schon vor der Sommerpause hier im Parlament über das humanitäre Aufnahmeprogramm gesprochen. Wir müssen uns da nichts vor machen, wir werden es auch mit Frauen und Kindern zu tun haben, die schlimmste Erfahrungen gemacht haben, die Traumatisierung zur Folge haben.
Deshalb ist es unsere Aufgabe, die Menschen bestmöglich zu versorgen und für ihre erfolgreiche Ankunft, Versorgung und Einbindung in unsere Gesellschaft zu sorgen. Es wird für das Gelingen des Resettlement-Programmes entscheidend sein, dass die aufnehmenden Kommunen gut vorbereitet sind.
Ich bin beeindruckt davon, wie viele Kommunalpolitiker*innen auf mich zukommen und fragen, ob man sich als Kommune freiwillig melden kann, um über das Programm Menschen aufzunehmen oder ob es möglich ist, Menschen aufzunehmen, die in Seenot geraten sind. Weil Nationalstaaten nicht bereit sind, Menschen aufzunehmen und in Kauf nehmen, dass sie im Mittelmeer sterben.
Und deshalb beeindrucken mich entsprechende Signale aus den Kommunen. Es ist in diesen Tagen nicht selbstverständlich. Und es macht mir deutlich, dass die humanitäre Haltung unseres Bundeslandes eben nicht nur eine Entscheidung politischer Amtsträger*innen ist, sondern dass diese auch begründet und getragen wird von den Menschen vor Ort.
Liebe Kollegen und Kolleginnen,
Wir leisten im Vergleich zu den weltweiten Flüchtlingszahlen natürlich einen kleinen Beitrag, den man in Prozent gar nicht ausmachen will. Denn man muss sich vor Augen führen, dass 68,5 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Entgegen der gefühlten Wahrheit sind die meisten Menschen nicht in Europa auf der Flucht oder womöglich in Deutschland, sondern zu 85 Prozent in Nachbarstaaten des globalen Südens. 44.000 Menschen, das ist mehr die Hälfte meiner Heimatstadt Neumünster, fliehen täglich vor Krieg und Verfolgung.
Diese Zahlen machen deutlich, dass die internationale Staatengemeinschaft in der Pflicht ist, dieses Leid zu mindern. Deshalb ist es notwendig, dass wir als Bundesrepublik dem UN-Migrationspakt zustimmen. Und die Lösung ist natürlich nicht, dass die Frage ausschließlich über Resettlement-Programme laufen kann, sondern die Ursachen im Kern bekämpft werden müssen. Aber es kann eben auch eine bequeme Antwort sein, sich wie Staaten wie Dänemark, Österreich oder die Vereinigten Staaten aus der Verantwortung zu ziehen und zu sagen, wir nehmen erst wieder auf, wenn die Flucht- und Migrationspolitik grundsätzlich geklärt ist.
Sie ist aber keine Antwort auf die akute Situation, auf die realen Lebensbedingungen von Menschen auf der Flucht. Und weil sich entscheidende Partner aus Resettlement-Programmen herausziehen, weiß ich, dass Hilfsorganisationen wie das UNHCR den Beitrag Schleswig-Holsteins, wohl bemerkt als Bundesland, sehr begrüßen.
Und lassen Sie mich noch eins sagen zum Schluss und auch gerade an die Gäste auf der Tribüne: Ich weiß, dass viele Menschen zu Recht davon genervt sind, dass die wahrnehmbaren Debatten in der Politik sich für eine lange Zeit ausschließlich um die Flüchtlingspolitik gedreht haben. Dass die Bundesregierung an diesem Thema fast zerbrochen wäre. Dass man den Eindruck gewinnt, für andere Themen ist weder Raum noch Zeit.
Aber das Problem ist eigentlich, dass die Fluchtdebatte in weiten Teilen mit der falschen Ausrichtung geführt wurde und sie dadurch vor allem den Rechten in dieser Republik geholfen hat. Und die durchaus stattfindenden Debatten um viele andere Belange in dieser Republik schlichtweg in der Öffentlichkeit untergegangen sind.
Und weil die Debatte oft geführt wird, um von anderen Themen abzulenken. Weil das Potenzial zur Spaltung einer Gesellschaft gegeben ist und von politischen Fehlentscheidungen in anderen Bereichen ablenken kann. Es funktioniert überall. Sei es in Deutschland, in anderen europäischen Staaten, in den USA, in Brasilien. Es funktioniert und es ist schockierend. Und über die Ursachen, weshalb es funktioniert mit Einwandern und Einwanderinnen so dermaßen Stimmung zu machen, müssen wir als Gesellschaft dringend eine Debatte führen.
Aber die Debatte, um die es eigentlich geht, dreht sich schon lange nicht mehr um die sachpolitischen Fragen der Flüchtlingspolitik. Es geht vielmehr um die Frage, wohin wir uns als Gesellschaft bewegen, welche Grundwerte wir teilen. Was wir als Konsens verstehen und ob wir uns zu den europäischen Grundwerten bekennen zu international beschlossenen Verträgen oder ob wir das nur dann tun, wenn wir davon monetär profitieren.
Und deshalb müssen wir diese Debatten führen. Am besten nicht nur unter dem Deck-mantel der Flüchtlingspolitik, sondern über jede einzelne Frage als solche. Resettlement-Programme sind Wege geordneter und sicherer Verfahren, über die wir seit Jahren sprechen und uns doch eigentlich wünschen. Diese Wege stehen uns offen. Organisationen wie der UNHCR und IOM, die die Auswahl vor Ort in Zusammen-arbeit mit Staaten oder in unserem Falle eines Bundeslandes organisieren, sind da. Es mangelt auf vielen Ebenen nur an der politischen Bereitschaft.
Und deshalb es ist ein immens wichtiges Zeichen, eine Aufnahmebereitschaft zu signalisieren und deutlich zu machen, dass man sich nicht aus der Verantwortung heraus zieht, so wie wir es in Schleswig-Holstein machen.
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