Aminata Touré ist mit ihren 24 Jahren das jüngste Mitglied im schleswig-holsteinischen Landtag. Für die Grünen auf Listenplatz 11 angetreten, war es bis zum Schluss eine Zitterpartie, ob sie es ins Parlament schafft. Vor rund zwei Wochen wurde Aminata vereidigt. Der Collegeblog hat sich mit ihr getroffen, um über ihre bisherige Amtszeit, den Einfluss ihrer Eltern und die Rolle sozialer Medien für die Politik zu sprechen. Für junge Menschen, die sich politisch engagieren möchten, hat sie einige Tipps parat.
Was waren Deine Gedanken bei Deiner Amtseinführung?
Mir sind in den zwei Minuten ziemlich viele Dinge durch den Kopf geschossen. Es gab einen lustigen Moment, denn ich wollte den ganzen Eid nachsprechen, obwohl ich nur hätte schwören müssen. An der Stelle habe ich mich aus Nervosität etwas verhaspelt. Die Vereidigung war aber auch ein ganz besonderer Moment für mich, gerade als jemand, der die Anfangsjahre in diesem Land als so unsicher erlebt hat wie ich. Jetzt Teil eines demokratischen Parlaments zu sein, ist unglaublich. Es ist ein Novum, dass wir in Schleswig-Holstein eine junge, weibliche Abgeordnete haben, die Schwarz ist und für diese Themen kämpft. Ich weiß, dass damit eine besondere Verantwortung auf mir lastet, weil es viele Menschen gibt, die das Gefühl haben, in diesen entscheidenden Gremien kein Mitspracherecht zu haben und durch mich nun schon.
Während der Vereidung saß meine Mutter auf der Tribüne. Ich glaube sie war sehr stolz darauf, dass ich das gepackt habe, mit Unterstützung durch Freund*innen und Familie sowie politischen Wegbegleiter*innen. Der Weg dorthin war nicht nur leicht. Das hat mich persönlich aber in dem Bewusstsein gestärkt, was für eine Ehre und gleichzeitig Aufgabe es ist, Parlamentarierin zu sein. An dieses Amt muss man mit viel Demut herangehen.
Wie bist Du in die Politik gekommen?
2012 habe ich ein Praktikum beim Flüchtlingsbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein gemacht. Das hat mich motiviert, weiter in dem Bereich zu arbeiten. Meine Eltern sind selbst aus Mali geflohen und ich habe gemerkt, dass sich viele Dinge in den letzten 20 Jahren nicht sehr verändert haben.
Ich habe mich dann mit Parteiprogrammen auseinandergesetzt und hatte das Gefühl, dass die Grünen die Partei sind, die in der Flüchtlings- und Menschrechtspolitik, die Positionen vertreten, die ich auch gut finde. Daraufhin habe ich bei der Grünen Jugend angefangen. Ich wurde Delegierte für den Landesparteitag der Grünen und dafür muss man in der Partei Mitglied sein. Ich bin in die Partei eingetreten und war bis letzte Woche Donnerstag Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft „Migration und Flucht“. Nach einiger Zeit habe ich angefangen, für Luise Amtsberg, die flüchtlingspolitische Sprecherin im Bundestag aus Schleswig-Holstein, zu arbeiten. Schließlich bin ich letztes Jahr in den Landesvorstand gewählt worden und habe mich dort mit den Themen „Frauenpolitik“ sowie „Flucht und Migration“ befasst. Letztes Jahr habe ich beschlossen, für einen Listenplatz zu kandidieren.
Deine Eltern sind von Mali nach Deutschland geflüchtet. Inwiefern hat Dich Dein Elternhaus in Hinblick auf Dein politisches Engagement beeinflusst?
1992 sind meine Eltern nach Deutschland gekommen. Meine kleine Schwester und ich wurden hier geboren; meine beiden älteren Schwestern in Mali. Wir haben die ersten fünf Jahre meines Lebens in einer Gemeinschaftsunterkunft in Neumünster gelebt und Ewigkeiten in Kettenduldung verbracht. Bis ich zwölf war, war nicht klar, ob wir in Deutschland bleiben können oder nicht.
Das hat sowohl meine politische Arbeit als auch die Sicht auf die Situation von Geflüchteten in Deutschland geprägt. Für meine parlamentarische Arbeit in den nächsten fünf Jahren ist es mir wichtig, wie man das Problem der Langzeitgeduldeten angehen kann. Da haben wir im Koalitionsvertrag gute Punkte, auch wenn uns oft bundesrechtliche Dinge eingrenzen.
Das ist auf jeden Fall einer meiner Schwerpunkte, weil es für betroffene Menschen unglaublich belastend ist, wenn man über Jahre nicht weiß, ob man in Deutschland bleiben kann und Teil der Gesellschaft ist. Bis ich zwölf Jahre alt war, hatte ich immer das Gefühl, wir müssten irgendwann zurück nach Mali, also in ein Land, das ich überhaupt nicht kenne, das aber sozusagen meine Heimat ist. Danach wollte ich mich mit diesem Thema nie wieder auseinandersetzen, weil ich gedacht habe, dass das genug war. Als ich dann aber das Praktikum beim Flüchtlingsbeauftragten gemacht habe, ist mir aufgefallen, wie wichtig mir das Thema noch immer ist. Es ist krass, Themenfelder zu bearbeiten, die mit der eigenen Biographie zu tun haben, da man immer mit der Brille der betroffenen Person drauf blickt. Aber das hilft einem auch bei der politischen Bewertung von Geschehnissen. Die letzten zwei Jahre, in denen ich im deutschen Bundestag gearbeitet habe, haben mir gezeigt, was von Regierungsfraktionen in Teilen nicht richtig angegangen worden ist und was uns jetzt hier im Land hemmt.
Was siehst Du als die größten politischen Aufgaben in Schleswig-Holstein an?
Ich werde in der nächsten Fraktion für Frauen- und Gleichstellung, für Verbraucherschutz sowie für Migration und Flucht zuständig sein. Die größte Aufgabe für die nächsten Jahre ist, wie man mit den über 35.000 Menschen, die im Summer of Migration in dieses Bundesland gekommen sind, umgeht. Da steht und fällt alles mit der Migrationsarbeit. Für uns war es wichtig, dass im Koalitionsvertrag mit CDU und FDP drinsteht, dass der Zugang zu Sprachkursen gegeben sein muss, gerade auch für Frauen. Und dass es eine Kinderbetreuung gibt. Integration ist ein persönlicher Schwerpunkt von mir, aber auch ein grüner Schwerpunkt. Außerdem geht es um die Frage nach dem Familiennachzug. Es gibt ein Bundesgesetz, das besagt, dass subsidiär Schutzberechtigte bis 2018 ihre Familien nicht nachziehen lassen dürfen. Das finden wir nicht richtig, weil es integrationshemmend ist. Im Koalitionsvertrag haben wir uns gegen die Restriktion ausgesprochen.
Des Weiteren ist der frauenpolitische Bereich für mich wichtig. Wir sind jetzt in einem Parlament, in dem gerade mal 30 % Frauen sitzen. Das gab es das letzte Mal 1980 in Schleswig-Holstein. Das ist eine sehr traurige Bilanz und deswegen glaube ich, dass das Thema einer besonderen Beachtung verdient.
Damit habe ich gute Aufgabenfelder, die man voranbringen muss. Darauf freue ich mich. Es ist eine große Herausforderung, aber das können wir packen.
Auf welche Reaktionen bist Du gestoßen, als klar war, dass die Jamaika-Koalition zustande kommt?
Ich habe vor allem Diskussionen mit Leuten geführt, die immer fragten, ob man grundsätzlich überhaupt mit CDU und FDP koalieren darf. Diese Frage finde ich demokratietheoretisch sehr schwierig. In einer Demokratie muss es möglich sein, sich mit allen demokratischen Parteien auseinanderzusetzen. Dafür gibt es Sondierungs- und Koalitionsgespräche. Wenn man von Vornherein sagt, dass wir als Grüne nicht mit CDU und FDP koalieren dürfen, heißt es am Ende des Tages, dass man bei Wahlen in Blöcken abstimmen müsste. Das kann es nicht sein. Auf der anderen Seite sollte man mit keiner Partei eine bedingungslose Koalition eingehen. Diesen kritischen Blick muss man in jeglicher Regierungskonstellation behalten. Ich finde es wichtig, dass man als eigenständige Partei offen für Koalitionsverhandlungen ist. Letztendlich geht es darum, ob wir als Grüne unsere Ziele voranbringen können. Man muss sich immer die Frage stellen, was wir in einer Regierung bewirken können, gerade in solch politisch schwierigen Zeiten. Ich habe für mich die Entscheidung getroffen, dass wir viele gute Punkte eingebracht haben und mich für Jamaika ausgesprochen. Wie die politische Arbeit in der Realität läuft, kann aber noch niemand sagen. Diese Konstellation gab es erst einmal im Saarland und deshalb ist es für alle spannend. Wir haben in allen Bereichen hart verhandelt. Vor allem für den Bereich Migration und Flucht kann ich sagen, dass wir gute Ergebnisse erzielt haben. Für mich ist jetzt entscheidend, was in den nächsten fünf Jahren passiert.
Du hast schon erwähnt, dass du selbst zu einer marginalisierten Gruppe gehörst. Auf welche Probleme bist Du dadurch in Deinem Alltag gestoßen?
Oft geht es um die Frage Rassismus. Wie treten Leute einem gegenüber, welche Fragen stellen sie? Für mich sind diese Fragen nichts Neues, denn rassistische Anfeindungen erlebe ich, seit ich auf der Welt bin.
Schwarze Menschen an sich und Schwarze Frauen im Besonderen gehören in unserer Gesellschaft zu marginalisierten Gruppen. Für viele Menschen ist es neu, auf uns zu treffen, weil sie bisher nichts mit uns zu tun hatten. Schwarze Menschen tauchen auch in der Werbung, im journalistischen Kontext oder in öffentlichen Ämtern seltener auf. Es führt zu einer Normalisierung, wenn es Schwarze Abgeordnete gibt, weil es die Vielfältigkeit unserer Gesellschaft zeigt, die es nicht erst seit gestern gibt. Dazu kann ich einen Beitrag leisten. Mir ist es wichtig, aus der Tatsache, zu einer Minderheit zu gehören, keinen persönlichen Profit zu schlagen, sondern gemeinsam mit der Gruppe für politische Ziele zu kämpfen.
Antirassismus werde ich als Thema stark begleiten. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag festgehalten, dass wir einen Landesaktionsplan gegen Rassismus starten wollen. Da werde ich mich absolut dahinter klemmen, weil ich es wichtig finde, in einer so vielfältigen Gesellschaft wie der unseren ein Bewusstsein dafür zu schaffen.
Du hast einen Abschluss in Politikwissenschaft und Französischer Philologie. Inwiefern hat Dir Dein Studium Handwerkszeug für die Politik mitgegeben?
Es geht in der Politik nicht nur darum, einen Plan für die nächsten paar Jahre auszuarbeiten, sondern um die große gesellschaftliche Idee dahinter. Genau dafür hat mir mein Studium etwas gebracht, also über das Tagesgeschehen hinauszublicken und sich Leitlinien zu geben. Die Hauptfrage ist natürlich in welcher Gesellschaft wollen wir leben. Da hilft es, wenn man sich mit Menschen und Theorien beschäftigt, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen. Ich würde meine Fächer immer wieder studieren und werde berufsbegleitend meinen Master machen, weil ich mich weiter mit diesen Fragen in der Theorie auseinandersetzen möchte.
Oft nutzt Du soziale Medien wie Instagram und Facebook. Hast du das Gefühl, damit ein anderes Publikum erreichen zu können?
Definitiv. Ich habe das vor allem im Wahlkampf begonnen und hatte das Gefühl, die Leute bekommen dadurch insgesamt einen anderen Zugang zu Politik. Man stellt sich oft die Frage, wie die Arbeit von Politiker*innen aussieht. Da einen Einblick zu schaffen und zu zeigen, wie der Alltag aussieht, kann der Politikverdrossenheit entgegenwirken. Viele, vor allem junge Leute, haben einen Zugang zu diesen Medien und reagieren auf meine Posts. Politik darf nicht nur in geschlossenen Räumen stattfinden, sondern muss nach außen hin transparent gemacht werden.
Welchen Rat würdest Du jungen Leuten geben, die sich gerne politisch engagieren möchten?
Es einfach zu tun. Damit sowohl Veränderung als auch Wechsel passiert, muss man sich selbst die Frage stellen, ob man etwas an der Gesellschaft ändern möchte und ob alles so in Ordnung ist, wie es gerade ist. Man kann nicht darauf warten, dass jemand sagt ‚Mach das doch bitte’. Wenn einen etwas nervt, sollte man etwas dagegen tun. Ich finde den Spruch, den die Grüne Jugend jetzt im Bundestagswahlkampf hat, ganz passend: ‚Verändern wir die Welt, bevor andere es tun’. Der beschreibt das gut. Natürlich kann ich zuhause sitzen und mich über alles aufregen, aber ich kann auch versuchen, selbst etwas zu ändern. Das ist nicht immer einfach, aber es kann sich lohnen, wenn dadurch Dinge vorangetrieben werden.
Es ist sehr wichtig, dass wir uns als junge Generation einmischen. In unserer alternden Gesellschaft gibt es Nachwuchsbedarf. Ich glaube, wir dürfen es uns nicht zu bequem machen. Das soll kein Vorwurf sein in die Richtung, die Jugend würde sich nicht engagieren. Aber wir müssen uns gegenseitig unterstützen.
Letztes Jahr habe ich mit Denise Loop, unserer Sprecherin der Grünen Jugend, einen Frauenstammtisch gegründet. Dort kommen immer wieder junge Frauen dazu, die nicht in einem parteipolitischen Kontext sind, aber trotzdem Lust haben, sich über feministische Themen auszutauschen. Das ist ein schöner, geschützter Raum, in dem man sich über all die Dinge austauschen kann, die schlecht laufen oder auch über sexistische Erfahrungen, die man macht. Wir starten auch Projekte, die wir nach vorne treiben möchten. Genau solche Räume muss man schaffen, um sich zu unterstützen und politisch Einfluss üben zu können. Deswegen ist es schön, Politik zu machen: Weil man Leute erreichen und etwas zusammen gestalten kann. Deshalb lade ich jeden ein, bei unserem Stammtisch vorbeizukommen, der einmal im Monat stattfindet. Das Ganze ist zwar von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der Grünen Jugend organisiert, aber für alle offen. Der nächste Termin ist am 4. September um 19 Uhr im Wahlkreisbüro (Büro Luise Amtsberg) in der Legienstraße 27.
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